Nachruf für Prof. Dr. med. Hans-Jörg Senn

Am 13. Januar 2023 hat sich der Lebenskreis von Prof. Dr. med. Hans-Jörg Senn nach einem reich erfüllten Leben im Alter von 88 Jahren geschlossen. Wir verlieren damit eine herausragende Persönlichkeit der Senologie. Von seiner home-base im Kantonsspital St. Gallen, die er zum vorbildlichen Modell in der Patientenversorgung und für die klinische Krebsforschung gemacht hatte, engagierte er sich in vielen Führungsgremien der Krebsmedizin und ganz besonders in der Senologie.

Interdisziplinäres Vorgehen war für Ihn von Beginn weg selbstverständlich und die Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit durch spezialisierte Pflege hat er als Pionier schon in den 80er Jahren betrieben. Er hat in dieser Zeit auch als erster Onkologiechefarzt die supportive Therapie betrieblich und personell in den Arzt-, Pflege- und Psychoonkologiedienst seiner Klinik intergiert. Auch seine erste Studiengruppe OSAKO war bereits interdisziplinär aufgebaut. Die in der SGS gepflegte Interdisziplinarität war für Hans-Jörg also kein Lippenbekenntnis. Für die Gesellschaft hat er sich stets eingesetzt und letztmals noch 2010, mit 76 Jahren, in einer organisatorischen Notsituation, persönlich die Logistik der Jahres-Kongressorganisation an die Hand genommen. Hans-Jörg Senn pflegte auch den persönlichen und fachlichen Austausch mit der DGS, beispielsweise als er 2012 die Key Note Lecture hielt und dabei für eine Strategie von detect and destroy in Richtung target, control and prevent plädierte.

Wichtig waren ihm auch die nationale Zusammenarbeit zuerst als Präsident der SAKK-Brustkrebsprojektgruppe, danach auch als SAKK Präsident. Entscheidend war Hans-Jörg auch für die Rettung und Gründung der IBCSG nach dem der Vorgängerorganisation, der Ludwig-Gruppe, die finanzielle Unterstützung entzogen wurde. Er hat mit der von ihm neu errichteten Stiftung die Grundlage geschaffen, dass die Brustkrebs-Forschungsgruppen vieler Länder und mit ihr die vielen darin tätigen, vor allem junge Forscher eine einzigartige Plattform für ihre Ideen und Präsentationen erhalten haben. Die IBCSG und viele in der BIG aktiven Gruppen spielten durch Hans-Jörg Senns Verbindung auch eine Schlüsselrolle in der Gestaltung der St. Gallen International Breast Cancer Conference und deren Konsensus. Dieser wurde erstmals 1978 einberufen. Seine Studie OSAKO 06/74, und diejenigen der NSABP von Bernhard Fisher und die Milano-Studie von Gianni Bonadonna zeigten (vermeintlich) verschiedene, ja gegensätzliche Resultate.

Hans-Jörg Senn hat sich nicht nur in der Versorgung seiner Patientinnen, der Forschung und Lehre engagiert, sondern auch wichtige Initiativen im Gesundheitswesen initiiert und begleitet. Er hat sich für die Krebsregister sowie für die Früherfassung des Mammakarzinoms eingesetzt und nach 10-jähriger geschickter politischer Arbeit erreicht, dass das Mammographiescreening-Programm donna-sg im Kanton St. Gallen als erstem Deutschschweizer Kanton eingeführt wurde. Das streng qualitätskontrollierte Programm wurde Vorbild für mehrere weitere Kantone, die ihr Programm in der Folge der Organisation von donna-sg anvertraut haben. Hans-Jörg Senn hat sich schliesslich wie viele berühmte Onkologen auch dem schwierigen Gebiet der Prävention im Gesundheitswesen und in der Forschung angenommen.

Mit Hans-Jörg hat uns ein engagierter Arzt, ein visionärer Verfechter der Interdisziplinarität und Forscher, erfolgreicher Netzwerker und Organisator, umsichtiger Chefredaktor und treuer Freund verlassen. Die Lücke können wir nicht schliessen. Er wird uns immer in dankbarer Erinnerung bleiben.

Prof. Beat Thürlimann